Hilgemann Projects

 
 

Ewerdt Hilgemann

 
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Transformationen in Raum und Zeit - Die Implosionen

Eugen Gomringer schreibt im Katalog zur Ausstellung "Implosions" (Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt, 28.10. - 26.11.1995) :
"Im Jahr 1988 hat Willy Rotzler die zweite Auflage seines Standardwerkes "Konstruktive Konzepte" publiziert und darin auf mehreren Seiten auf das bisherige Werk von Ewerdt Hilgemann gemäss seiner Bedeutung im Kreis der holländischen Strukturisten - Hilgemann lebt seit 1970 in den Niederlanden - ausführlich hingewiesen. Er führt an, dass der Künstler seit 1961 sich intensiv mit systematischen Reliefstrukturen beschäftigte und dass er dann zu Werkreihen überging, die ein bestimmtes Strukturprinzip in jener Vollständigkeit darstellen, die durch das gewählte bildnerische Material gegeben sei. Hilgemann nannte solche Reihen "systematische Strukturen". Rotzler zitiert Hilgemann, der von sich sagte: "Meine Arbeitsmethode ist systematisch-konstruktiv." Im gleichen Zitat heisst es aber auch: "Für mich ist wirkliche Kunst, alte wie neue, immer eine Kombination von Geist und Gefühl. Kunst muss eine irrationale Qualität haben, wie rational auch die Methoden sein mögen, um sie hervorzubringen".

Es ist vorteilhaft, sich dieser Ausgangsposition zu erinnern, wenn man den Werkreihen begegnet, die Hilgemann seit gut zehn Jahren hervorbringt. Kennt man den Ablauf dieses Hervorbringens, insbesondere die Gegebenheiten und Methoden nicht und steht unvermittelt vor den kleineren und grösseren bis monumentalen Plastiken, könnte man über die Kräfte rätseln, die solch stählerne Gebilde offensichtlich durch ein Knautschverfahren zustande brachten. Es handelt sich jedoch nicht um ein Zusammendrücken, sondern um ein Einsacken, nämlich wenn die Luft im Innern gewaltsam entzogen wird. Das Wissen um diesen Vorgang verändert die Bewertung der "irrationalen Qualität".

Ein Künstler, der mit einer "systematisch-konstruktiven" Arbeitsmethode begann, musste radikal brechen mit Weltsicht und Weltgefühl, um der Logik konstruktiven Gestaltens abzusagen. Er musste zu neuen Einsichten gekommen sein. Dies allerdings war in Hilgemann ebenso vorbereitet, in der Kombination von Geist und Gefühl. Folgerichtig ist auch seine Erkenntnis, dass ein Schaffen zugelassen werden muss, das nicht allein die Planung und ihre Kalkulation bis zum eindimensionalen Vollzug vorsieht, sondern die Einwirkung von elementaren Kräften - von Natur - miteinbezieht. Das Problem stellt sich nicht allen Künstlern der Konstruktiven Kunst. Die meisten arbeiten in ihrem "Plansoll" weiter und erfinden im selbstgewählten Rahmen immer neue Varianten. Andere, wenigere, fanden den Weg eines Hilgemanns nicht, oder gingen ihn zu wenig radikal. Er aber kann Werkgruppen in seiner Entwicklung vorzeigen, die auf diese und jene Weise starke Kräfte walten liessen, die zerstörten, was sonst abgeschlossene konkrete Form besessen hätte. Mit der aktuellen Werkgruppe der Implosionen wird ein ganzer Komplex im Bereich Metamorphose - Transformation angesprochen. Es beginnt damit, dass der konstruktive Künstler Hilgemann mit einer Basisform der Konstruktiven Kunst, dem Kubus, oder Unterteilungen des Kubuses, oder einem Mehrfachen des Kubuses, zu Veränderungen ansetzt. Statt auf solche Körper selbst von aussen einzuwirken, lässt er einwirken - eben durch Entnahme der Binnen-Luft, ein ganz alltäglich technischer Vorgang. Dabei verändert sich Raum durch Zeit, wird zeitlich "abgebildet" und Zeit wird "abgebildet" durch räumliche Veränderung. Hilgemann kennt die Wirkung und ihre Abbildung, ihre Reaktion im Hohlkörper, das heisst, er weiss, wo der Körper zuerst einknickt und wo er den Spannungsverhältnissen entsprechend dann weiterhin einknicken wird. Anzunehmen aber ist, dass sich die Orte genauer Reaktion nicht bis zum letzten Stellenwert berechnen und voraussagen lassen. Auf alle Fälle sind die entstehenden Gebilde unterschiedlich in sich, an sich und unter sich. Und dies zur Verwunderung des End-Beobachters wie natürlich fast noch mehr des Beobachters der Szene, die sich bietet vom Ausgangskörper bis zum fertig entsaugten Körper. Es ist das Erlebnis von Ursache und Wirkung, diesmal jedoch nicht in der planimetrisch berechenbaren Form eines Bildes, einer Struktur. Das waltende Prinzip ist nur zu beobachten, es geschieht.

Gewaltig geradezu ist der Bedeutungswechsel der Formen. Aus dem relativ einfach zu beschreibenden Kubus - Hilgemann unternimmt aber auch Implosionen an anderen Körpern - formiert sich ein Körper, der nicht nur dynamisch entstanden ist, sondern der auch dieser Dynamik im erstarrten Endprodukt ganz ungewöhnlich gleicht. Oder es lässt sich von einer Transformation von einer projektiv-geometrischen, logischen Form, zu einer symbolischen Form sprechen. So oder so: die Einwirkung schafft neue Formen, die nur auf diese, ihnen gleiche Weise entstehen können. Oder: eine bestehende Form wird einem natürlichen Experiment ausgesetzt, ganz einfach.

Hilgemann ist mit seinem Gesinnungswechsel, der sich gleichsam im Entstehungsprozess vom Kubus zur neuen Überraschungsform symbolisiert, in faszinierender Weise gelungen, was etlichen seiner Kollegen "nur" in mühsamer Kleinmeisterei ebenfalls gelingt, die weit weniger Beachtung findet. Eine implodierte Säule jedoch ist ein Phänomen.

Die Konstruktive Kunst, zu welcher trotz "lrrationalismus" auch die Kunst von Hilgemann zu zählen ist, hat mit den Implosionen einen Zusatz an Raumvarianten erfahren, wie sie auf andere Weise eben kaum zu erwarten gewesen wären.

Hilgemann hat sich selbst bestätigt, was er in seinem frühen Statement diskutierte:

"Kunst muss eine irrationale Qualität haben, wie rational auch die Methoden sein mögen, um sie hervorzubringen"

(Text: Eugen Gomringer)